IN TOUCH   |   ACHTSAMES BERÜHREN

Berührungscoaching, Kuscheltherapie, Kuschelzeit in der Gruppe (sog. Kuschelparty) – dies sind Angebote, die vor allem dazu dienen, achtsame Berührung zulassen und geben zu lernen, sich aufgrund von Berührungsmangel nachzunähren, sich zu entspannen, die eigenen Grenzen kennenzulernen und mutiger zu werden, eigene Berührungswünsche klar zu äußern bzw. Berührungswünsche von anderen auch achtsam abzulehnen. Je weniger Berührung im eigenen Umfeld möglich ist, desto wichtiger sind professionelle Angebote zu achtsamer Berührung, die in Einzel- oder Gruppen-Sessions stattfinden. Im geschützten Rahmen, mit Herzenswärme und verbindlichen Regeln sowie unter striktem Ausschluss sexueller Handlungen können wir uns selbst und anderen näher kommen und die ganzheitlich-gesundheitlichen Vorteile von sachter Berührung nach eigenem Bedarf immer wieder erleben.

 


Berührung in unserer Gesellschaft

 

Noch bis in die 1950er/60er Jahre galt Liebkosen und Streicheln der eigenen Kinder als verpönt, weil es die Kinder verwöhnen würde. Kurz nach der Geburt wurden die Kinder ihren Müttern weggenommen, „sauber“ gemacht und in Räume mit anderen verängstigten und schreienden Babys gebracht. Feste Fütterungszeiten sollten die Kleinen schon früh an Disziplin und Ordnung gewöhnen. Die dringenden Bedürfnisse nach Berührung, Wärme und Geborgenheit, die im Mutterleib noch so selbstverständlich waren, konnten nicht ausreichend befriedigt werden. Schon aus diesem frühkindlichen Erleben heraus kann ein gestörtes Verhältnis zu Berührung und Sicherheit entstehen, das bis ins hohe Alter das Beziehungsverhalten beeinflusst.

 

Glücklicherweise änderten die Krankenhäuser in den letzten Jahrzehnten ihre Strategie, ließen zuerst die Kinder in den Zimmern der Mütter und unterstützen heute unter dem Begriff „Bonding“ den Aufbau einer intensiven postnatalen Bindung zu Mutter und Vater.

 

Ein Blick zu unseren biologischen Verwandten, den Primaten, macht dabei offensichtlich, dass es bei intensiver Berührung unter Artgenossen nicht nur um die Bindung zwischen Mutter und Kind geht, sondern überhaupt um die Pflege eines intakten Soziallebens durch Fellpflege („Grooming“ genannt).

 

Obwohl seit einigen Jahrzehnten anerkannt ist, dass sachte Berührungen unter Familienmitgliedern und Freunden (dazu gehört selbst im beruflichen Kontext der Handschlag) sehr förderlich für das soziale Leben sind, wird heute unter Kindern und Erwachsenen mehr Distanz aufgebaut, sei es aus hygienischen Gründen oder weil in bestimmten Zusammenhängen z.B. immer der Verdacht besteht, ein Erwachsener könnte sich an einem Kind vergehen. (Ein Sozialarbeiter hat ein Mädchen auf dem Schoß – eine Geste von Trost und Geborgenheit oder der Verdacht von Missbrauch???) Auch verhindert unser mediengeprägtes Leben mit Voice- und Video-Calls, hundertfachen Berührungen unseres Handys statt von Nahestehenden den persönlichen und erst recht den körperlichen Kontakt. Offensichtlich wird es dadurch umso wichtiger, professionelle Angebote zu schaffen, um den Mangel an achtsamen, nährenden Berührungen auszugleichen.

 


Das Missverständnis mit Blick auf nährende und sexuelle Berührung

 

Hinzu kommt noch das Missverständnis, dass jegliche Berührung immer gleich einen sexuellen Hintergrund haben muss. Kommen Jugendliche in die Pubertät, wollen sie nicht mehr von ihren Eltern berührt werden (peinlich…). Die sexuell motivierte Berührung spielt eine reizvolle Rolle, wird aber oft als erwachsene Berührung missverstanden. Unterstützt wird dies durch den leichten Zugang zu jeglichen pornographischen Darstellungen, in denen nährende Berührungen nicht vorkommen.

 

Dass aber auch erwachsene Menschen weiterhin nährende Berührungen, gern auch, aber nicht ausschließlich, mit dem (Sexual-) Partner / der (Sexual-) Partnerin, austauschen müssen, um ausgeglichen und gesund zu bleiben, ist nicht wirklich verankert. Daher ist es umso wichtiger, explizite Angebote achtsamer, nährender Berührung zu schaffen, die sexuelle Berührungen gänzlich ausklammern. Erst wenn in diesem Rahmen erlernt wurde, dass sich Frauen und Männer körperlich (und emotional) Gutes tun können, ohne dass Sex mit im Spiel ist, können die Bedürfnisse nach nährender Berührung befriedigt werden. Dies kann sich auch sehr förderlich auf das gemeinsame Sexualleben eines Paares auswirken, das beide Bedürfnisse lernt zu unterscheiden und zu artikulieren. Die Tiefe von erfüllenden, nährenden Berührungen kann eine Paar-Beziehung enorm bereichern.


Der Streichelsinn - eine wissenschaftlich recht junge Entdeckung

 

Wie sehr die Bedeutung von sachten Berührungen in der Vergangenheit unterschätzt wurde, lässt sich auch an der Forschung erkennen. Bisher wurde Berührung ausschließlich mit dem Tastsinn in Verbindung gebracht. Mit dem Tastsinn erfühlen wir vor allem Formen, Materialien, Temperaturen. Dass es daneben aber einen weiteren Sinn, den Streichelsinn, gibt, wurde erst 1995 entdeckt! Es sind ganz eigenständige Nervenfasern, die Informationen über das Rückenmark an das Gehirn weiterleiten, und zwar viel langsamer als der Tastsinn. In Versuchen konnte herausgefunden werden, dass der Streichelsinn optimal auf sanfte, langsame Berührungen (1-10 cm /sec) bei 32-34 °C reagiert – was der Temperatur unserer Fingerspitzen entspricht. Über den Streichelsinn unterscheiden wir angenehme von unangenehmen Berührungen, werden entspannter oder alarmiert, je nach Berührungsqualität. Angenehm sind achtsame, nährende Berührungen, die bei Einzel- und Gruppen-Sessions Anwendung finden.

 

An allen behaarten Stellen unseres Körpers gibt es diese sog. C-taktilen Nervenfasern, besonders viele auf dem Rücken. Darum lassen wir uns intuitiv als Erwachsene am liebsten auf dem Rücken massieren. Babys ruhen Herz an Herz bei den Eltern, gehalten und gestreichelt wird vor allem der Rücken. Auch die Fellpflege der Primaten findet zu einem großen Anteil auf dem Rücken statt. Hier kann man verhaltensbiologisch unterstellen, dass ein Affe seinen ungeschützten Rücken als Vertrauensbeweis zeigt – der andere dankt dieses Vertrauen mit gründlichem Lausen. Die Bindung dieser beiden wird durch die ausgeschütteten Hormone verstärkt, das Wohlbefinden und die Friedfertigkeit in der Gruppe gesteigert.


Positive Effekte von achtsamer Berührung

 

Mit jeder sachten, nährenden Berührung werden vor allem Endorphine und Oxytocin ausgeschüttet. Endorphine werden auch gern als Glückshormone bezeichnet, das Oxytocin als Bindungshormon, weil es die Bindung zu Nahestehenden (Familie, Partner, Freunde) und das Sozialgefüge in einer Gruppe stärkt.

 

Regelmäßige achtsame und sachte, also nährende Berührungen haben auf uns Menschen (gilt auch für Säugetiere!) folgende positive Wirkungen:

·       Stärkung des Immunsystems,

·       Lindern von Schmerzen,

·       Senken von Herz- und Atemfrequenz,

·       Schaffen von Vertrauen und emotionalem Gleichgewicht,

·       Stimmungsaufhellung, Entspannung, Beruhigung,

·       Schlafförderung,

·       Förderung von Verbundenheit und Sicherheit,

·       Verlängerung des Lebens aufgrund dieser positiven Eigenschaften.

 

Warum klappt es eigentlich nicht, sich durch Selbstberührung diese Benefits zu verschaffen? Vordergründig steht uns dabei im Weg, dass das Gehirn schon vorher „weiß“, wo und wie wir uns berühren wollen. Das Empfinden wird daher ausgeblendet, die positiven Effekte werden nicht wahrgenommen. Und doch gibt es welche! Wir reiben uns einen eingeklemmten Finger, ein schmerzendes Knie o.ä.; das Gehirn bekommt somit zwei Reize: einmal den Schmerzreiz und zum anderen den positiven Reiz des Streichelns und Reibens der schmerzenden Stelle. Der positive Reiz bekommt „Vorfahrt“ und kann über die Endorphine die Schmerzen lindern. Darüber hinaus nutzen wir unwillkürlich Selbstberührung zum Stressabbau: Wir berühren uns zwischen 10 und 800 Mal am Tag im Gesicht, um, wie man inzwischen wissenschaftlich nachweisen konnte, in herausfordernden Situationen Stress abzubauen oder Unsicherheit zu mildern! 


Achtsames Berühren in Einzel- und Gruppen-Sessions (Kuscheltherapie, Berührungscoaching, Kuschelzeit in der Gruppe, Kuschelparty)

 

Die weiterhin ungebremste Zunahme an Single-Haushalten und die Förderung von körperferner Kommunikation über digitale Medien lassen den Hunger nach nährenden Berührungen immer mehr wachsen. Wir Menschen sind wie unsere biologischen Vorfahren soziale Wesen, das Leben in (Klein-) Gruppen gewöhnt, was Wärme und Schutz bietet. Daran ändert auch unsere technisierte Welt der letzten 200 Jahre nichts. Gibt es keine Möglichkeit, auf privater Ebene ausreichend nährende Berührungen auszutauschen, macht es Sinn, professionelle Angebote in Anspruch zu nehmen. 

 

Seit etwa der Jahrtausendwende werden in Deutschland Kuschelpartys angeboten. Tatsächlich ist diese Form des Austauschs nährender, achtsamer Berührungen nicht so neu, fanden sich schon in den 1920er Jahren im Freundeskreis Menschen zusammen, die sich ohne sexuelle Hintergedanken zum Kuscheln, Halten, Anschmiegen zusammenfanden. Erst seit wenigen Jahren gibt es vermehrt auch Angebote für Einzel-Sessions, die sog. Kuscheltherapie bzw. das Berührungscoaching. Im sicheren, professionellen Rahmen können die Annäherung, das Abgrenzen, das Ausprobieren von Berührungen geübt und empfunden werden, oder aber man wünscht sich, ähnlich einer Massage oder einem Sauna-Gang, schlicht Entspannung im wohligen, wärmenden Gehaltenwerden unter professioneller Leitung. Damit der Austausch in der Gruppe und auch zu zweit harmonisch ablaufen kann, werden zuvor Regeln abgestimmt, die unbedingt einzuhalten sind, damit sich auch die unterschiedlichsten Charaktere miteinander rundum sicher und geborgen fühlen können. 

 

Für viele Menschen fühlt sich der Gedanke, mit fremden Menschen sehr nah zu sein, zu kuscheln, abschreckend an. Aus Erfahrung kann ich bestätigen, dass, wenn die Regeln klar sind und man sich damit sicher fühlt, es ziemlich egal ist, mit wem man diese Nähe teilt. Es ist keine Partnerbörse, ich möchte nichts vom anderen wissen (Charaktereigenschaften, politische Haltung, Bildungsstand, Hobbys o.ä.), ich möchte mich selbst im Kontakt mit einer anderen Person wahrnehmen und diese Person nur spüren. An der Begegnung werde ich wachsen, denn jeder Mensch berührt (sich/mich) anders. Wie gelingt es mir heute, meine Wünsche zu artikulieren, auf fremde Wünsche einzugehen oder sie abzulehnen? Wie fühle ich mich in der Gegenwart dieser Person? Wie fühlt sich die Nähe an? Wenn es etwas gibt, was ich an Menschen überhaupt nicht anziehend finde und ich in einer Kuschelsession einem solchen Menschen begegne, kann es eine tolle Erfahrung sein, mit diesem Menschen nährende Berührungen auszutauschen – meine Haltung in Bezug auf die kategorische Ablehnung könnte sich sogar relativieren. 

 

Etwas leichter fällt die Entscheidung vielleicht, wenn die ersten Schritte mit ausgebildeten Fachleuten erfolgen, wie in der Einzel-Session. Hier darf man sich auf die Professionalität des Kuscheltherapeuten / der Kuscheltherapeutin bzw. des Berührungscoachs / der Berührungscoachin verlassen.